Wenn ich wüsste, dass ich heute
sterben würde, was wären dann meine letzten Worte? Was wäre das,
was ich hinterlassen würde, mein Erbe? Welcher Film würde sich in
meinem Kopf abspielen, kurz bevor ich tot bin, und wer wäre die
letzte Person, an die ich denken würde? Wäre es die, die ich
erwarte, oder wäre es ein ganz anderer Mensch?
Ich probiere hier einen fiktiven
Abschiedsbrief (fiktiv im Sinne von: Ich glaube nicht, dass ich in absehbarer Zeit sterbe) zu schreiben, den ihr euch dennoch zu
Herzen nehmen könnt, ob ich nun heute, morgen, in einem Jahr oder in
ein paar Dekaden abtrete. Es sind Worte, die ich loswerden möchte,
Dinge, für die ich mich rechtfertigen will, bevor es zu spät ist.
Ich weiß, ich war nicht immer ein
perfekter Mensch, ganz im Gegenteil. Ich habe viele Menschen, denen
ich etwas bedeutet habe, enttäuscht, verletzt und manchmal im Stich
gelassen. Ich wollte immer für alle Menschen da sein, die mir
wichtig sind und wollte immer, dass ich den Menschen, die mir wichtig
sind, auch wichtig bin. Das war ich vermutlich meistens auch, doch
durch falsche Definitionen, wie sich jemand verhalten sollte, wenn
ich ihm wichtig bin, oder vielleicht eher zu hohe Erwartungen, habe
ich das oft nicht gesehen.
Die Folge war meist Wut meinerseits,
gefolgt von Gleichgültigkeit.
Und bisher habe ich es geschafft, dass
mir jeder Mensch gleichgültig sein kann – nicht, dass ich das gut
fände, ich glaube viel eher, dass das eine meiner negativsten
Eigenschaften ist beziehungsweise war, doch stets habe ich es
eingesetzt um mich zu schützen, vor Enttäuschungen zumeist.
Bei jedem Menschen, bis auf einen ist
mir das Umschalten von 'du bist mir wichtig' auf 'du bist mir scheiß
egal' innerhalb weniger Tage, Wochen gelungen. Bis auf einen
Menschen, von dem ich mich nun, vor einer Woche genau, distanziert
habe. Falls du diesen Brief liest, möchte ich, dass du weißt, dass
es mir leid tut, dass mir leid tut, was immer zwischen uns war und
dass ich es bedaure, dich nicht mehr im Arm halten zu können, nun,
wo sich mein Leben dem Ende zuneigt.
Zugleich fühle ich mich bestätigt,
denn sagte ich nicht immer, am Ende sterbe jeder Mensch für sich
allein?
Doch das ist nicht alles, was ich zu
sagen habe. Natürlich hat dieses besondere Mädchen einen großen
Teil meines Lebens ausgemacht, doch sie hat mich von sich gestoßen
und ich kann ihr das einfach nicht mehr vergessen. Wo früher Liebe
war, ist nun nur noch Wut, Schmerz und noch immer das letzte Fünkchen
Hoffnung, dass sich alles wieder zum Guten wenden könnte – das
letzte Fünkchen Hoffnung, das ich also bis zum Ende nicht auslöschen
konnte. Wie kitschig.
Neben dieser ganz speziellen Person
jedoch, gibt es einige andere Menschen, die mir mindestens genauso
wichtig sind, Menschen, die ich auch nicht einfach aus meinem Leben
schmeißen könnte, nicht mal wenn ich wollte. Menschen, die beinahe
alles über mich wissen, was ich über mich zu sagen im Stande bin
und vielleicht noch ein wenig mehr. Diese handvoll Menschen, denen
ich voll und ganz vertraue, haben es mir immer möglich gemacht, mit
den größten Rückschlägen zu leben, haben mir Mut eingeflößt,
wenn ich ihn gebraucht habe, haben mich wieder hochgezogen (oder es
zumindest probiert), wenn ich in der tiefsten Depression steckte.
Ich habe es leider nie geschafft, mich
äquivalent dafür bei euch zu bedanken, aber ich hoffe, ihr wisst,
dass ich euch meine.
Einen letzten Brief zu schreiben, in
dem man alles berücksichtigt, was einem wichtig war, sein könnte, ist gar nicht so einfach. Denn wie soll man alles, was einem einst
wichtig war, in einem Dokument verpacken, in der Hoffnung, es wird
gelesen und verstanden, ohne, dass jemand am Ende das Gefühl hat,
vergessen worden zu sein?
Ich bin froh über jeden Menschen, der
sich die Zeit mit mir vertrieben hat, wie auch immer die Beziehung zu
ihm geartet war. Manche haben mich mehr erfreut, manche weniger und
manche würde ich im Rückblick eher zum Mond schießen, doch was
bedeutet das jetzt noch? Ich gräme mich nicht mehr, ich habe keinen
Hass in mir. Dennoch stehe ich offen dazu, dass alles anders gelaufen
ist, als ich es einst wollte und ich enttäuscht bin, enttäuscht von
einigen Menschen.
Ich hoffe, dass ich euch trotz allem
wichtig geblieben bin, auch, wenn wir Streit hatten, wenn wir uns
auseinander gelebt haben. Ich hoffe, dass ich in euren Erinnerungen
nicht nur eine schemenhafte, undeutliche Gestalt bin, sondern ihr
alle zurückblicken könnt und mich in den besten Moment unserer
Freundschaft, oder Beziehung im Allgemeinen, vor euch seht, in voller
Blüte, in Glück, bei euch sein zu dürfen.
Diese unbeschwerte Zeit mit den
Menschen, die mir am meisten bedeutet haben, war die wertvollste in
meinem Leben.
Ich wünsche mir, dass ihr nicht zu
lange um mich weint, sondern euren Weg geht, ohne zu oft
zurückzublicken, denn was passiert ist, ist passiert und kann nicht
mehr geändert werden, das ist leider so. Ich möchte, dass ihr
glücklich werdet und an mich zurückdenken könnt.
Ich war nie religiös und ich habe nie
daran geglaubt, in den Himmel oder die Hölle, ins Nirwana oder das
Paradies zu kommen, wenn ich eines Tages tot bin.
Doch das, was stirbt ist lediglich mein
Körper – meine Seele lebt weiter, nicht als Geist irgendwo, nicht
auf irgendeinem spirituellen Fleck, sondern in euch. In dem einen als
ein guter Freund, in anderen als sarkastisches Arschloch, bei einigen
als beides und bei einer Person als Geliebter, als Freund und als
sarkastisches Arschloch.
Doch in der Gesamtheit der Erinnerungen
lebe ich als das weiter, was ich war, wenn ihr mich lasst.
Das ist mein Vermächtnis und alles,
was ich euch, neben ein paar mittelmäßigen Liedern und Gedichten
hinterlassen kann.
Macht's gut.
B.
Auch in schriftlicher Form ist er noch genauso "schön", wie wenn du ihn selbst vorliest.
AntwortenLöschenAlso ich bin unendlich froh, dass der Brief nur fiktiv ist! ^.^
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