„Hey
Bruder“, sagt er, als er in den Raum kommt. Ich blicke mich
verwirrt um. Nur wir beide befinden uns in diesem Raum. Dieser Mensch
blickt mich an und er scheint mich zu meinen. Dabei sind wir keine
Brüder, wir sind nur Menschen die sich flüchtig kennen, also warum
kann er mich nicht einfach beim Namen nennen oder noch besser
schweigen, schweigen, den Raum verlassen, denn das würde es leichter
machen, seine Existenz zu verneinen. Ich nehme einen Schluck von
meinem Bier. Ich überlege noch kurz, wie ich auf diesen
Kommunikationsversuch am besten eingehen soll. Immerhin hat er
erkannt, dass ich ein Mann bin und wenn ich sein Verhalten
ressourcenorientiert bewerte, dann muss ich das anerkennen.
Mittlerweile ist eine gute Minute vergangen und selbst mir wird die
im Raum stehende Spannung nun unangenehm, weswegen ich ihm flüchtig
in die Augen seh und entgegene: „Hey.“
Er
zieht sein T-Shirt aus und steht nun nur noch in Badehose vor mir.
Das nächste Mal, wenn ich wegfahre, buche ich ein Einzelzimmer,
schwöre ich mir. „Ey, weißt du noch, diese krasse Party, von der
ich dir erzählt habe?“
Ich
gähne. „Ja, weiß ich noch.“
-“Ey,
die war der Oberhammer, schwöre ich dir, das war so heftig ey, das
war überkrass! Ich schwöre dir, einhundert Leute in meinem Haus und
nichts kaputt gegangen, aber alle krass gute Laune und jeder
mindestens 3 Promille!“
Ich
erwähnte doch bereits, dass ich mich an seine erfundene Geschichte
erinnere, warum erzählt er mir noch einmal davon?
„Ja,
daran arbeite ich auch gerade.“
-“Was?“
„Nicht
so wichtig.“ Ich gieße ein wenig Wodka in mein Bier und nehme
einen großen Schluck.
-“Und
jedenfalls war da doch diese süße Maus-“
„Die
du gevögelt hast, ja.“
-“Ja,
genau! Wenn du bei meinen Geschichten noch weiter so gut zuhörst,
dann lernst du noch was, Diggi. Warum bist du eigentlich single?
Bruder, wenn du deine Haare so lässt und ein paar Kilo abnimmst,
dann stehen einfach alle Weiber auf dich, ich schwör dir, dann
kannst du auch mal wieder einen wegstecken und 'ne Freundin haben und
so.“
Krasser
Scheiß, denke ich mir, ich setze an, mit einer eloquenten Antwort zu
parieren, aber er redet schon weiter.
-„Naja,
und du darfst natürlich nicht so schüchtern sein, aber ist ja klar,
oder? Aber naja, auf jeden Fall war da diese Geile, die ich gefickt
hab, weißt du noch? Und das war so krass, als sie gekommen ist, hat
sie erstmal meine Gitarre durch's Zimmer gekickt, so heftig, aber der
Gitarre ist nichts passiert und wenn doch, dann hätte ich mich gut
entschädigen lassen, haha, verstehst du, Bruder?“ Dieser Teil der
Geschichte ist wahr, habe ich mir sagen lassen.
Er
hebt seine Hand und blickt mich erwartungsvoll an. Ich unterdrücke
den Drang, sie anzuspucken. Ich hebe meine Hand nicht.
„Alles
klar, war's das dann?“ Er senkt seine Hand und erzählt ungeniert
weiter.
-“Naja,
auf jedenfall ist diese Olle auch hier feiern und hat mich sofort
wieder erkannt. Naja, wie sollte sie auch nicht, haha. Wobei, eine
Weile waren auch ihre Augen verbunden und sie war auch megastralle,
aber naja, ich ja auch und wenn ich mich an sie erinnern kann, dann
muss sie ja erst recht. Naja, auf jeden Fall will ich die Kleine
heute wieder abschleppen, aber das stört dich doch nicht, nachher
mal kurz rauszugehen. Aber pack deine Gitarre in Sicherheit, ja?
Haha!“
Ich
gieße ein wenig Bier in meinen Wodka und exe die Flasche.
Ich kenne
sie seit der dritten Klasse. Finde sie echt niedlich. Seit der
dritten Klasse.
Wir haben Theater gespielt, in der Grundschule. Nun, wir haben uns aus den Augen verloren und dann war sie nach Jahren wieder da. Ich dachte, das wird meine Zeit, aber wenn dir die Gesellschaft eines verschweigt, dann ist es diese Lektion: „Nur
mit Nettigkeit kommst du auf keinem deiner Wege besonders weit.“
Ich fühle mich wie meine Flasche. Leer. Vergleiche kann ich. Wie kann es sein, dass dieser Kerl, ausgerechnet DIESER Kerl... Nein. Ich breche meinen Gedankengang ab, denn wenn ich eines verstanden hab, dann, dass es keine Gerechtigkeit für Typen wie ihn gibt.
„Nene,
stört mich nicht. Und jetzt zieh dir ein T-Shirt an.“
-“Alles
klar, Diggi, bist'n Bro, ich würd das gleiche für dich machen, wenn
du rumvögeln würdest hier und so, aber das weißt du ja, ne? Du
musst einfach mal auch feiern, ey, das ist die beste Zeit in deinem
Leben, Alter! Nutz die Zeit die dir bleibt. Aber lass lieber dein
T-Shirt an, wenn du wen aufreißt, die Menschen hier sind echt
oberflächlich.“
Einen
kurzen Moment überlege ich, ihn mit seinem Shirt zu erdrosseln. Ich
entscheide mich allerdings dafür, das Zimmer stumm zu verlassen. Ich
gehe zur Hotelbar. Ich habe das Kennedypaket gebucht.
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