Dienstag, 29. August 2017

Lebenserwartungen

Die ganze Welt würde uns bald offenstehen, haben wir gedacht, als wir noch in die Schule gingen. Die ganze Welt würde nur darauf warten, dass wir sie entdecken, uns ins Leben stürzen, neue Leute kennenlernen, das Fremde vertraut wird und das bisher vertraute in der Erinnerung verblasst.
Ja, so haben wir uns das vorgestellt. Ein halbes Jahr nach dem letzten Schultag saß ich noch immer mit den gleichen Menschen in den gleichen Bars. Nur mit dir habe ich leider nicht mehr geredet.

Und dann redeten wir doch wieder und dann lernte ich doch ein bisschen das Leben außerhalb meines kleinen Kreises kennen, durch dich sogar JEMANDEN außerhalb meines kleinen Kreises und dachte: „Jetzt, jetzt wird sich alles ändern. Jetzt kann ich mich ins Leben stürzen, mehr Menschen kennenlernen. Die Welt und Menschen warten nur darauf, dass ich sie entdecke, sie können es kaum erwarten. Bald verblasst dieses Häufchen Elend, das ich einst war in der Erinnerung.“
Ja, so habe ich mir das vorgestellt. Doch ein Jahr nach meinem letzten Schultag saß ich noch immer mit den gleichen Menschen in den gleichen Bars. Nur mit euch beiden habe ich kein Wort mehr geredet und werde es wohl auch nicht mehr tun.
Ein Jahr nach meinem letzten Schultag wartete ich auf meinen neuen ersten Schultag.

Oh wie anders wird wohl mein Leben sein, jetzt in der Ausbildung? Ich wohne jetzt in Berlin, ganz allein, ich kann diese ganze Stadt erkunden, mich endlich ausleben, ich lerne arbeiten, mich durchzubeißen, bin selbstdiszipliniert, lerne Frauen und neue Freunde kennen, habe einfach eine Menge Spaß und lebe mein Leben!“
Einen Monat später bin ich in einer festen Beziehung.
Nun sitze ich mit meiner Freundin und den immer gleichen Leuten in den immer gleichen Bars. Doch die Abende werden seltener.
Ich lerne neue Menschen kennen, ich lerne zu kämpfen, ich lerne, Missgunst zu ignorieren und konzentriere mich auf das was zählt.
Ein Jahr später ist es soweit. Ich hätte das kleine Häufchen Elend, das ich einst war beinahe vergessen. Alles läuft so gut für mich, wie es nur kann. Ich bin glücklich.

Doch warum ist dann immer in mir dieses kleine Etwas, das schreit: „DU BIST ES NICHT WERT!“
ich DU glaube BIST nicht ES daran NICHT, ich WERT glaube DU nicht BIST daran ES
STOPP
Schreit dann noch ein anderes Ding in mir und plötzlich verstummt dieses kleine Ding und verkriecht sich in die hintersten Ecken meines Unterbewusstsein, um wieder hervorzukriechen, wenn ich gerade glaube, ich hätte es überwunden.

Drei Jahr später sitze ich immer noch in den gleichen Bars, mal mit den gleichen Leuten wie vor 5 Jahren. Mal mit den neuen Leuten. Und doch scheint sich nichts verändert zu DU haben BIST denn ES ich NICHT
STOPP
Es hat sich eine Menge verändert seitdem, ich bin wirklich relativ gut in dem was ich tue und glaube, ich kann DU es schaffen, wenn ich BIST nur fest daran glaube ES ich bin nämlich echt relativ stark im NICHT vergleich zu früher WERT DU VERSAGER! DU TRITTST AUF DER STELLE UND NICHTS WIRD DAS JE ÄNDERN
STOPP

Ja, vielleicht trete ich manchmal auf der Stelle. Vielleicht entwickle ich mich nicht so schnell wie ich möchte. Vielleicht bin ich nicht so extrovertiert geworden, wie ich gerne wäre, doch ich schätze mein jetziges Leben, ich möchte beinahe sagen, dass ich es liebe und sogar dass ich mich selbst liebe, doch ich STOPP

denn ich bin es wert.