Hey.
Ich
verstehe, dass du verwundert bist. Ich bin es auch. Ich verstehe,
dass du es nicht verstehst. Ich tue es auch nicht. Warum ich dir
schreibe? Warum ich mich melde? Warum mir nach all der Zeit noch
etwas an dir liegt?
Nun
ja, lass uns nicht albern sein. Mir liegt nicht mehr wirklich etwas
an dir. Ich denke in letzter Zeit nur oft an vergangene Zeiten zurück
und frage mich, was wohl geschehen ist. Wir waren einmal Freunde,
haben wir zueinander gesagt. Wir standen füreinander ein, nahmen uns
Zeit füreinander. Stundenlang saßen wir am Computer, schrieben
lange Nachricht für lange Nachricht, in denen wir uns unsere Seelen
ausschütteten.
Ich
glaube, damals dachten wir, das würde immer so sein. Dass alles, was
wir zueinander sagten auch so gemeint gewesen wäre. Ich glaube, wir
dachten, wir sind wirklich besser als D I E, weil
wir hier sitzen und uns unsere Gedanken machen, während sie einfach
ihr verschissen-schönes Leben leben.
Ich
glaube, irgendwann haben wir beide verstanden, wie ungesund dieses
Verhalten für uns ist. Dass wir nicht mit den Problemen des jeweils
anderen umgehen können, wenn wir noch nicht mal unser eigenes Leben
auf die Reihe kriegen.
Und
so hörten wir irgendwann einfach auf.
Deine
Nachrichten kamen seltener, meine Nachrichten blieben aus. Und aus
einem Zwanzigzeiler wurde ein „Hey.“, ein „Ja, mir auch.“ und
ein „Und sonst so?“
Ich
glaube, wir haben irgendwann alle Worte verbraucht, denn mit sechzehn
dachten wir zwar, wir hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen,
dass alles schlechte auf der Welt uns bereits widerfahren war. Mit
achtzehn dann merkten wir, dass das erst der Anfang war. Doch nach
dem Superlativ gibt es keine Steigerung mehr und es konnte uns schon
Jahre davor nur am beschissensten gehen und nicht am
beschissestensten.
Ja,
ich glaube, wir haben die Worte für das Leid schon lange
aufgebraucht, bevor wir mit den Anforderungen des echten Lebens
konfrontiert wurden. Was hätten wir uns noch sagen sollen?
Und
trotzdem, hätte ich dich damals wohl gebraucht. Und sei es nur um
zu wissen:„Ich bin nicht allein."
Freilich,
heute führe ich ein gutes Leben und dir wird es wohl ähnlich gehen
und ich wünsche dir das von Herzen.
Und
dennoch frage ich mich häufig, wann das Ende begann. Als wir immer
seltener schrieben? Oder mit den ersten Streits? Als wir begannen,
gemeine Worte zu gebrauchen, wobei ich den Grund gar nicht mehr
verstehe?
Ich
glaube, damals dachte ich, du wärst der einzige Mensch, der mich
versteht und ich wäre der einzige Mensch, der dich versteht. Heute
scheint das alles so bedeutungslos zu sein. Und doch glaube ich, dass
ich, wenn ich dich nicht gekannt hätte, heute ein anderer Mensch
wäre. Dass mir so viel im Leben entgangen wäre, hättest du mich
nicht darauf aufmerksam gemacht.
Du
hast mir meinen Lieblingsfilm gezeigt, meinen Lieblingssong. Du hast
mir gezeigt, dass die Welt noch etwas für mich bereit hält, auch
wenn ich es nicht erwartet habe. Du hast mir gezeigt, dass ich etwas
wert bin. Du hast mir gezeigt, dass ich ein Rettungsboot sein kann,
und ich habe dich sicher durch manchen Sturm gebracht.
Ich
glaube, im pubertären Überschwang haben wir damals einiges gesagt,
was wir nicht so meinten. Was wir heute nicht mehr sagen würden.
Aber heute ist es zu spät - und es ist gut wie es ist.
Ich
habe mich ziemlich gemacht, weißt du? Ich habe mir manchen Traum
erfüllt, ich habe eine Frau an meiner Seite, die atemberaubend ist.
Ich bin ein ziemlich guter Musiker geworden.
Ich
bin immer noch ziemlich tiefgründig und grüble zu viel, aber du
wirst wohl nichts anderes erwartet haben.
Und
ich trage jetzt Anzug, fast jeden Tag. Das hätten wir Schwarzträger,
grauen Mäuse, Wallflowers wohl nicht erwartet.
Was
du machst, weiß ich nicht. Wie du heute aussiehst, mit wem du deine
Zeit vertreibst. Und ich glaube, ich möchte es auch nicht wissen,
weil alles was heute ist, nicht mehr so intensiv sein kann, wie
früher.
Weil
wir gelernt haben, aus dem, worüber wir uns früher den Kopf
zerbrachen. Wir haben gelernt, nicht mehr zu viel zu vertrauen, nicht
mehr zu viel von uns preiszugeben, dass Freundschaft endlich ist.
Dass die meisten Menschen die wir treffen nur kurze Wegbegleiter,
Bekanntschaften auf einem schier unendlichen Lebensweg zu sein
scheinen.
Und
so wächst mein Bekanntenkreis immer weiter, während mein
Freundeskreis zu schrumpfen scheint.
Und
so bist auch du nur jemand, den ich irgendwann mal kannte. Und
manchmal wünsche ich mir schon, es würde noch einmal anders sein.
Dass wir das gleiche Gefühl beim Miteinanderschreiben bekämen wie
damals. Doch wir kratzen an der Oberfläche, denn wir haben uns
damals alles gesagt, allen Schmerz geteilt, der zu teilen war und
heute könnten wir nur noch in Hyperlativen miteinander sprechen, die
niemand von uns aussprechen will, weil wir uns doch ohnehin wieder
entfremden werden. Also lassen wir das Leid in uns gekehrt und finden
uns ab, damit, dass unser Leben, so wie es ist schon gut genug ist.
Dass all das Leiden und Weinen, all der Neid auf die, denen es besser
zu gehen scheint als uns, sinnlos sind.
Und
wenn du mir irgendwann mal wieder schreibst, dann sag ich „Hey.“,
„Na muss ja...“ und „Und dir?“, und ich bin genauso wenig an
der Antwort interessiert wie du, nachdem du mir die Frage nach meinem
Wohlbefinden stelltest. Und so bleibt es eine Farce, ein nettes
Spiel, das wir spielen, aus Höflichkeit und Nostalgie.
Ich
erinnere mich manchmal gern an diese Zeit und lasse unsere
Bekanntschaft von nun an lieber ruhen. Manchmal würde ich gern den
Moment vergessen, der aus der Freundschaft eine Bekanntschaft werden
ließ, um dich eine rein positive Erinnerung sein zu lassen.
Aber
irgendwie scheint aller Scheiß und alles Schöne, das wir erleben,
uns zu prägen und ich glaube, du warst eine wertvolle Erfahrung auf
meinem Lebensweg. Dafür möchte ich dir danken und dich wissen
lassen, dass du einen Platz in meinen Erinnerungen verdienst. Doch
diese möchte ich gern lassen, wie sie sind.
Du
bist einige sehr wichtige Personen und ich weiß gar nicht genau, an
wen ich diesen Brief adressieren müsste, wenn ich ihn irgendwann
einmal verschicken würde, aber ich glaube, dass das gar nicht so
wichtig ist. Viel wichtiger ist, dass ich diese Worte einmal
loswerden konnte.
Denn
selbst wenn du sie läsest, bliebe es bei einem „Hey, wie geht's?“
und irgendwann tut das einfach zu sehr weh.
Ich
hoffe dir geht es gut. Ich hoffe, dein Leben ist heute genauso schön,
wie das, das ich führe und dass das auch so bleibt.
Ich
schicke dir freundschaftliche Grüße aus der Vergangenheit, die dich
vermutlich niemals erreichen werden.
Dein
B.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen