Montag, 23. Oktober 2017

Taub und blind

Hier ein älterer Text, den ich nur ungefähr auf das Jahr 2013 datieren kann.
Eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit:


Dunkelheit.
Was macht das schon, wenn man blind ist und das Licht niemals sah?
Chopins "Regentropfenprelude", Beethovens "Mondscheinsonate"?
Sie sind mir egal, denn ich bin taub.

Es ist kalt in dem Raum in dem ich sitze und ich fühle mich müde, also ist es vermutlich mal wieder mitten in der Nacht. Ich störe mich nicht an der Kälte, denn obwohl ich schon so manche Nacht an einem behaglichen Feuer verbrachte, vermochte es die Wärme doch nie, mich zu durchdringen.

Ich fühle mich, als sei ich unempfänglich für jede Schönheit, die auf der Welt existiert. Als wollte jemand, dass ich mein Dasein auf diese Weise friste. Ich glaube, irgendwo neben mir steht eine Schar amüsierter Menschen, die auf mich zeigen, Tag für Tag, und sie lachen laut über mich armseligen Tor, über meine ungepflegte Gestalt, über meine lächerlichen Versuche,  mich ihnen begreiflich zu machen; aber ich höre sie nicht, denn ich bin taub und ich sehe sie nicht, denn ich bin blind.
Ich kann sie nicht aufspüren, denn ihre Wärme ist mir fremd.

Ich weiß nicht mehr, wann ich aufhörte, zu hören. Ich weiß nicht mehr, wann mir die Fähigkeit abhanden kam, zu sehen; und in welcher Reihenfolge.
Und wozu wäre dieses Wissen relevant?
Heute bleibt mir nur noch das Schreiben dieser Gedanken auf Papier.
Sie sind meine Worte des Abschieds, die niemals jemand lesen wird.
Ich möchte sie in die Nacht hinausschreien, doch ich bin stumm.

Doch ein Sinn bleibt mir noch.
Ich habe nie verlernt, zu spüren.
Während meine Kugelschreibermine kratzend über das Papier gleitet, wilder und wilder, probiere ich die Zeichen zu deuten, an die ich schon Sekunden später kaum noch erinnere.
Ob das, was ich schreibe für ein fremdes Auge wohl noch einen Sinn ergeben mag, frage ich mich.

Und wenn ihr schon die Zeichen deuten könntet, was sagten sie für euch?

_

Eine Hand streift des frustrierten Schreiberlings Hals. Die Hand gehört zu einem Arm, der Arm zum Körper einer wunderschönen, jungen Frau.
"Ich habe dich nicht gesehen", sagt er zu ihr,
"Und nicht gehört."
Sein Stift kratzt weiter über den Bogen unter seiner Hand.
"Aber ich habe dich gespürt."

Und da wurd's ihm warm ums Herz.

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